Es ist an der Zeit die Freunde Henschels auf den neusten Stand zu bringen.
Im Januar waren wir mit einem Doku-Filmteam in Brockau unterwegs und hatten in den sozialen Medien kurz darüber berichtet. Dort schrieben wir:
Facebook-Eintrag vom 11. Januar 2020:
Brockau die Eisenbahnerstadt. Dies ist Brockau nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht. Wer in Brockau lebt, atmet die Eisenbahn. Bis in die tiefe Nacht begleiten uns die Hörner der Lokomotiven und das Rattern auf den Gleisen. Immer. Brockau ist auch die Stadt des ewigen Sonnenaufgangs. Die Leuchten des Verschiebebahnhofes färben den Himmel und die tiefliegenden Wolken in ein ständiges Orange. Und natürlich liegt der Bahnhof im Osten. Die Sonne geht immer über dem Bahnhof auf. Wer in Brockau lebt, lebt diesen Rhythmus.
Früh raus, früh startklar. Nieselregen.
Es ist noch recht düster und wir beschließen, mit einem Interview in den Tag zu starten. Bis wir alles aufgebaut haben, dringt die Kälte durch den Wind bis in die Knochen. Wir brechen den Dreh ab, weil mein Zittern deutlich zu sehen ist und ich doch recht verkrampft wirke.
Also Planänderung: Erst auf einer Erkundungstour den Ort entdecken und die späteren Drehorte festlegen. Der Nieselregen will nicht aufhören zu nieseln. Wir müssen warten, suchen stattdessen Geldautomaten und Kaffee. Wir erkunden die Gegend nun in größeren Runden und fahren bis an die Oder. Hat Heinz hier seine Affinität für Schiffe entdeckt? Die Landschaft reizt so sehr, dass wir es riskieren. Der Anblick der Oder lebt von der Tristesse dieses Tages geradezu auf. So sammeln wir Filmsekunde für Filmsekunde … im Nieselregen.
Die Friedhöfe im Osten und im Süden der Stadt scheinen uns einen Besuch wert. In den Reiseführern wird berichtet, dass es auf den Friedhöfen noch unangetastete Ecken mit deutschen Gräbern gibt. Auf beiden dieser letzten Ruhestätten finden wir je ein deutsches Grab und reduzieren die Angabe in den Singular. Dass der ehemalige Hauptfriedhof eingeebnet wurde, war uns bekannt. Aber bei dieser Wetterlage, sucht man den Lucky-Punch halt überall.
Der Bahnhof in Brockau und die wenigen Infos, die wir hatten: Adressbuch Brockau von 1942
Dokumentarfilmer Andreas Fröhlich bei der Arbeit
Plötzlich, kurz vor der Dämmerung reißt der Himmel auf. Nervosität macht sich breit: Woher nun schnell ein Motiv nehmen, um die letzten Sekunden des Tages sinnvoll zu gestalten? In Ermangelung relevanter Schauplätze ist die Natur ein dankbares Motiv. Auf dem Rückweg entschließen wir uns noch zu einigen Drehs im Scheinwerferlicht der City. So trotzen wir diesem Tag noch knappe 90 Film-Sekunden ab.
Morgen soll es Sonne satt geben. Unsere To-Do-Liste wirkt unangetastet, alles konzentriert sich auf morgen. Wir setzen Prioritäten für den kommenden Tag. Coswig wird ein wenig auf uns warten müssen. Da wir glauben, dass dieser Ursprungsort Henschel tiefer geprägt hat, als jeder andere Ort in seinem Leben, fällt diese Entscheidung leicht. Wünscht uns für morgen viel Sonne, sonst kommen wir mit der gleichen Liste zurück, mit der wir gestartet sind.
Danach erfolgte ein abruptes Ende der Berichte. Dies hat einen guten Grund. Seit der Reise nach Brockau haben wir in den letzten acht Wochen zwei weitere Recherche-Reisen in den Osten der Republik unternommen. Wir haben uns mit vielen Zeitzeugen getroffen, haben uns durch die Landesarchive gewühlt und eng mit verschiedenen Stadtarchivaren/innen verbündet. Die Hilfe, die uns zu Teil wurde war fast grenzenlos.
Letztendlich haben wir sogar die Familie Henschels gefunden. Wir haben so unendlich viel über die Zeit und das dramatische Leben von Heinz Henschel erfahren, dass wir nun erst einmal sehr genau sortieren müssen, was wir veröffentlichen wollen und was wir zum Schutze Henschels und seiner Familie lieber für uns behalten wollen.
Eines sei an dieser Stelle aber gesagt: Sehr vieles von dem, was wir vom Werdegang Henschels zu wissen glaubten, war falsch erzählt worden. Blicken wir einmal auf die Biografie, die wir im Katalog „Oh wie schön, dass niemand weiß …“ zusammen getragen haben. Dort steht beispielsweise: „1945 – flieht die Familie vor dem Einmarsch der russischen Volksarmee nach Coswig (Sachsen) …“. Alleine in diesem Satz stecken drei große Fehlannahmen. Die Geschichte Henschel muss völlig neu geschrieben werden.
Dies hat sich das Team Henschel nun zur Aufgabe gemacht. Wir haben damit begonnen, eine umfangreiche Monografie über das Leben und Schaffen des Künstlers zu schreiben. Es ist davon auszugehen, dass wir das Werk bis zum Ende des Jahres fertigstellen werden. Es könnte aber auch noch einige Monate länger dauern, da unsere Recherche noch lange nicht abgeschlossen ist. 3 weitere Touren gen Ost sind bereits geplant. Zudem gibt es mehrere Ausstellungszusagen, die organisiert werden wollen. Wo dies sein wird, verraten wir erst dann, wenn alles unter Dach und Fach ist. Wir bitten um ein wenig Geduld.